Auszubildende in der Pflege übernehmen die Verantwortung für eine Station

Das gab’s noch nie: Im Marien-Hospital haben Auszubildende eine ganze Station übernommen. 22 Pflegefachfrauen und -männer des zweiten und dritten Lehrjahres sind vier Wochen lang für die K3a (Gefäßchirurgie) verantwortlich.

 

Dazu zählen die ganzheitliche pflegerische Versorgung der Patient*innen sowie die komplette innerklinische und außerklinische Kommunikation. In das Projekt eingebunden ist der Bildungsträger (Bildungszentrum Niederrhein Wesel) als Vermittler zwischen den Auszubildenden und dem Krankenhaus.

Teamarbeit und Verantwortungsbewusstsein

„Die Auszubildenden sollen ihre Fach-, Handlungs-, Individual-, Sozial- und Methodenkompetenzen ausbauen und die Organisationstätigkeiten der Stationseinheit sicher steuern“, erklärt Sebastian van de Loo, verantwortlicher Pflegemanager für die Gefäßchirurgie. „Beim Projekt Auszubildendenstation spielt auch die interdisziplinäre Teamarbeit eine wesentliche Rolle“, betont er. Die angehenden Pflegefachkräfte sollen das Miteinander im Stationsalltag einüben und das Zusammenspiel mit den anderen beteiligten Berufsgruppen. Denn nur so ist eine Station sicher zu steuern.

„Ich unterstütze das Projekt gern, weil es den Auszubildenden die einmalige Chance gibt, den klinischen Alltag in eigener Verantwortung zu meistern“, betont Dr. Jürgen Hinkelmann, Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie. „Die Erfahrungen, die sie dabei machen, fördern früh die Professionalität und stärken das Verantwortungs- und Selbstbewusstsein – das brauchen die künftigen Pflegekräfte, auf die wir Ärzte dringend angewiesen sind.“ Der Chefarzt hat keine Bedenken, seine oft sehr schwer kranken Patient:innen den jungen Leuten anzuvertrauen: „Sie werden gut begleitet, und ich war in die intensive Vorbereitung eingebunden. Da war schon zu spüren, dass die Auszubildenden für die Sache brennen.“ 

Keine Abstriche bei der Versorgung

In der Tat: Alle nehmen freiwillig teil, niemand musste überredet werden. „Alle waren sofort begeistert und machen gerne mit“, freut sich Sebastian van de Loo. Das interdisziplinäre Team der stationären Einheit, die zentrale Praxisanleitung, die Pflegedienstleitung und das wissenschaftliche Team der Pflegeentwicklung unterstützen das Projekt fortlaufend. Dadurch wird eine ausreichende Anleitungsmöglichkeit und Supervision gewährleistet. Während der vier Wochen darf es bei der sicheren und fachgerechten Versorgung der Patient:innen keine Abstriche geben. Deshalb nahmen die Verantwortlichen im Vorfeld ethische Begutachtungen vor. „Das ist hier kein Versuchslabor“, unterstreicht Sebastian van de Loo. Die Patient:innen werden über das Projekt informiert, können Fragen stellen und Rückmeldung geben. Spezifische pflegerische Handlungen können auf Nachfrage jederzeit von examiniertem Personal eingefordert werden.

Unter den 22 Auszubildenden wurden die Dienste nach einem festen Betreuungsschlüssel eingeteilt. Das bedeutet bei 21 Vollzeitkräften (Auszubildenden) und Maximalbelegung (20 Patient*innen): 2,5 Patient*innen pro Auszubildende*r im Frühdienst und 3,3 Patient*innen pro Auszubildende*r im Spätdienst. Aus Gründen der Planbarkeit und der pädagogischen Zielorientierung wird der Nachtdienst von examinierten Pflegekräften des Teams besetzt.

Umfangreiche Vorbereitung über sechs Monate

Das Projekt gliedert sich in vier Phasen: Vorbereitung, direkte Vorbereitung, Durchführung und Evaluation. Die Vorbereitungsphase dauerte sechs Monate. In dieser Zeit  wurden organisatorische und medizinisch-pflegerische Inhalte vertieft. Dazu trafen sich die  Auszubildenden zu Besprechungen und Schulungen mit den zentralen Praxisanleiter*innen, Stationsleitungen, Mitgliedern der Pflegeentwicklung sowie dem Pflegemanagement. Lena van de Weerthof, Mitarbeiterin der Pflegeentwicklung, vertiefte mit den angehenden Fachkräften pflegewissenschaftliche Themen wie die Übergabe am Bett, die Pflegevisite oder den Pflegeprozess. Parallel dazu wurden die Auszubildenden von Christian Schatschneider, Stationsleiter der Gefäßchirurgie, in die Erstellung des Dienstplanes eingewiesen. Die Gestaltung des Dienstplans inkl. Genehmigung durch das Pflegemanagement erlebten die Auszubildenden als einen ersten Meilenstein des Projekts. Zudem wurden Schlüsselpositionen vergeben, darunter die Stationsleitung der Auszubildenden und eine eigene Mitarbeitervertretung (MAV) für die Azubis.

Klinik für Gefäßmedizin

Abgerundet wurde die Vorbereitungsphase mit einer Einführung in die pflegerisch relevante Gefäßmedizin durch Chefarzt Dr. Hinkelmann. Die Klinik für operative und endovaskuläre Gefäßchirurgie behandelt Patient:innen mit Erkrankungen der Arterien, Venen und Lymphgefäße. Dabei werden häufig sogenannte interventionelle Verfahren angewendet, etwa das Aufdehnen von Gefäßengstellen durch Ballons mit und ohne Implantation von Stents (metallene Gefäßstützen) oder die Ausschaltung von Erweiterungen der großen Körperschlagader (Aneurysma) durch die Implantation von Endoprothesen. Die Klinik verfügt über eine besondere, mit Zertifikat bescheinigte Expertise in der Versorgung chronischer Wunden – ein Aspekt, der auch im pflegerischen Handeln der Auszubildenden auf der K3a eine wichtige Rolle spielt. 

Für den letzten „Feinschliff“ erfolgte die unmittelbare Vorbereitung auf das Projekt während einer Kick-Off-Veranstaltung für die Auszubildenden und Projektbetreuer*innen. Dazu zählten die Einweisung in Geräte, die Finalisierung der Stationsablaufpläne, ein Probelauf der „Übergabe am Bett“ und die Schulung des „Basic Life Support“ (Maßnahmen zur Wiederbelebung) durch das Team der Intensivstation.

Begleitung und Bewertung

Während der vierwöchigen Praxisphase haben die Auszubildenden stets Ansprechpartner*innen vor Ort. Dazu zählt in jeder Schicht das Team der Zentralen Praxisanleitung (Leitung Nathalie Stief). Parallel zum Projekt finden Befragungen von Patient*innen statt, die ausgewertet werden. In dieser abschließenden Evaluationsphase werten die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Pflegeentwicklung die Fragebögen aus und passen das Projekt für die zukünftigen Jahre an. Denn schon jetzt steht fest: Es soll keine „Eintagsfliege“ bleiben, sondern wiederholt werden. Ziel ist es, die Pflegefachkräfte für einen Beruf fit zu machen, der mit vielen Herausforderungen verbunden ist, aber in der unmittelbaren Begegnung mit kranken Menschen ein hohes Maß an Zufriedenheit stiftet und das Selbstwertgefühl fördert. Und: Krisenfest ist der Beruf ohnehin.  

Radiobeitrag

Bundesweit berichtete der Radiosender Deutschlandfunk Nova über das Projekt, hier der Link zum Beitrag.